Das Kind 11FREUNDE

Publish date: 2024-12-05

Seit gut zwei Jahren kommt bei der Über­tra­gung großer Fuß­ball­spiele eine neue, ziem­lich spek­ta­ku­läre Kamera zum Ein­satz: die Cine­matic Look Camera“. Sie ver­spricht, wie der Name schon verrät, ein Bild im cine­as­ti­schen Stil. Das gelingt durch eine extreme Tie­fen­un­schärfe, durch die ein klarer Fokus gesetzt wird. Wer keine Ahnung hat, wovon die Rede ist, der sollte beim kom­menden WM-Finale zum Bei­spiel mal bis zum Abpfiff warten und sich die Bilder anschauen, die in den Momenten ent­stehen, wenn die Spieler sich auf dem Rasen abklat­schen, zum Schieds­richter gehen oder in die Kurve Rich­tung Fans wat­scheln. Denn da kommt die Kamera häufig zum Ein­satz. Und ver­mit­telt eine solche Nähe, dass es den Zuschauer wie in einem Video­spiel förm­lich hin­ein­zieht. Für den Fan, dem das Bild­ma­te­rial auf sein End­gerät pro­ji­ziert wird, über­steigt die Qua­lität alles in der Fuß­ball­über­tra­gung bis hierhin gese­hene. Für den­je­nigen, der von dieser Kamera ein­ge­fangen wird, in diesem Fall der Spieler, sieht das schon anders aus. Denn die Bild­qua­lität legt scho­nungslos jedes noch so kleine Detail offen. Jede Haut­ir­ri­ta­tion und jede mimi­sche Ent­glei­sung wird einem Mil­lio­nen­pu­blikum hoch­auf­lö­send prä­sen­tiert. Im April dieses Jahres, lang bevor die Welt­meis­ter­schaft ange­fangen hat, bekam Dort­munds Gio­vanni Reyna das kom­plette Leis­tungs­ver­mögen der Cine­matic Look Camera“ zu spüren. Und zwar in seinem schwächsten Moment.

Über sieben Monate war der Ame­ri­kaner wegen einer Mus­kel­ver­let­zung aus­ge­fallen, in Summe ver­passte er 29 Pflicht­spiele. Ehe er am 29. Spieltag in Stutt­gart erst­mals wieder in der Start­auf­stel­lung ran dufte. Keine Minute war gespielt, da ging Gio Reyna in sein erstes Lauf­duell mit Gegen­spieler Borna Sosa. Ein langer Schritt, ein Ste­chen im Ober­schenkel, ein Griff an die Ober­fläche, unter der Muskel und Sehne liegen. Und. Raus. Bist. Du.

Allein im Schmerz, beob­achtet von Mil­lionen

Als Reyna kurz darauf Rich­tung Sei­tenaus hum­pelte, herzten ihn seine Mit­spieler – Bel­lingham, Reus, Haa­land, Hum­mels – nie­mand ließ es unver­sucht, ihm ein auf­mun­terndes Wort mit­zu­geben, auch zwei Stutt­garter Spieler, an denen er zufällig vor­bei­lief, klapsten ihm auf­mun­ternd auf den Hin­ter­kopf. Reyna kämpfte mit den Tränen, hielt sie so gut es ging zurück, so lange er noch auf dem Platz stand. Als er das Spiel­feld ver­lassen hatte, brach es aus ihm heraus. 19 Jahre war er zu diesem Zeit­punkt jung, er fing sint­flut­artig an zu weinen. Und sein ohnehin schon junges Gesicht ver­kind­lichte sich noch ein gutes Stück. Das Blöde für ihn: Die super­scharfe Cine­matic Look Camera“ war in diesen Sekunden genau auf sein Gesicht gerichtet. Und so war Gio­vanni Reyna in diesem schwächsten aller Momente zwar ziem­lich allein mit seinem Schmerz, wurde aller­dings von einem erbar­mungs­losen Spe­zi­al­ap­parat mit famoser Tie­fen­schärfe und gran­dioser Fokus­sie­rung ins Sta­di­on­in­nere geleitet. Und jeder hat es gesehen.

Dieses Bild hat sich bis heute ver­fangen. Reyna, der Sen­sible.

In diesen Tagen hat sich dann ein wei­teres Bild hin­zu­ge­sellt, das mit eben Beschrie­benem eigent­lich so gar nicht zusam­men­passt und das auch nicht zu der öffent­li­chen Wahr­neh­mung von Gio Reyna passt. Ver­gan­gene Woche erzählte näm­lich Natio­nal­trainer Gregg Ber­halter auf einer Ver­an­stal­tung in New York von einem Spieler, der das gesamte US-Team bei der WM in Katar gespalten hätte. Wir hatten einen Spieler, der die Erwar­tungen auf und neben dem Spiel­feld ein­deutig nicht erfüllt hat“, sagte Ber­halter. Dieser Spieler soll derart lustlos auf­ge­treten sein, dass er sogar nach Hause fliegen sollte. Nur eine Ansprache im Team­hotel, in der er sich bei der ver­sam­melten Mann­schaft ent­schul­digte, hätte seinen Raus­schmiss noch ver­hin­dert. Dar­aufhin soll es ein Votum gegeben haben, bei dem seine Mit­spieler ent­scheiden durften: Drei­zehn stimmten für seinen Ver­bleib, zwölf wollten ihn nach Hause schi­cken. Zwar war Gregg Ber­halter im Vagen geblieben, um wel­chen Spieler es sich han­delte, The Ath­letic aber wusste schon am nächsten Tag, dass es um Gio­vanni Reyna ging. Reyna selbst hat sich über Insta­gram mitt­ler­weile geäu­ßert und berichtet, er sei am Boden zer­stört“ gewesen, als Ber­halter ihm vor Tur­nier­be­ginn nur eine Neben­rolle im Team in Aus­sicht gestellt hatte, damit sei sein lust­loses Auf­treten im Trai­ning erklärt. Mir wurde gesagt, mir sei ver­geben worden“, schreibt er. Auch sei er sehr über­rascht, dass der Trainer nun mit diesen Interna an die Öffent­lich­keit gegangen ist.

Bei Borussia Dort­mund wollen sie nicht wirk­lich glauben, was über ihren Spieler berichtet wird. Die Inhalte der Bericht­erstat­tung über Gio Reyna haben uns in den letzten Tagen schon sehr gewun­dert”, sagte Sport­di­rektor Sebas­tian Kehl der dpa. Wir kennen den Jungen seit vielen Jahren, obwohl er erst 20 ist. Wir erleben ihn als guten Typen, der pro­fes­sio­nell arbeitet und in der Kabine ein geschätzter Team­kol­lege ist”, sagte der Sport­chef weiter. Dass dies nach einigen wenigen Tagen in Katar nun grund­sätz­lich in Zweifel gezogen wird, ist für uns beim BVB nicht nach­voll­ziehbar und wird Gio Reyna nicht gerecht.”

ncG1vNJzZmhpYZu%2FpsHNnZxnnJVkrrPAyKScpWeUlsBut8inm2aqla67onuWbmtxbWNl